Die 10 wichtigsten Aspekte zum spanischen Mietrecht (unter besonderer Berücksichtigung spanischer Gewerbemietverträge)
1. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen den verschiedenen Arten der Vermietung nach Assetklassen: Wohnimmobilien, Einzelhandelsimmobilien, Hotelimmobilien bzw. Büroimmobilien. Weiterhin ist zwischen folgenden Fällen zu differenzieren: (i) Folgen, die auf einem allgemeinen Rückgang der Geschäftszahlen aufgrund der Krise beruhen und (ii) Folgen, die durch staatlich oder behördlich angeordnete Schließungen verursacht werden.
2. Bisherige Maßnahmen der spanischen Regierung, die Mietverhältnisse betreffen können, in chronologischer Folge:
a) Die spanische Regierung hat einen landesweiten Notstand in Form des sog. Alarmzustandes (estado de alarma) ausgerufen mittels königlichem Dekret 463/2020, vom 14. März (Real Decreto 463/2020, de 14 de marzo, nachfolgend „RD 463/2020“). Dieser Alarmzustand ist am 14. März in Kraft getreten ist und sollte ursprünglich 15 Tage andauern. Mittels weiterer Regierungsbeschlüsse, die durch das spanische Parlament ratifiziert worden sind, wurde die Dauer des spanienweit geltenden Alarmzustandes jedoch insgesamt drei (3) Mal verlängert, zunächst bis zum 12. April, dann bis zum 26. April und zuletzt – Stand Redaktionsschluss des vorliegenden Beitrages – bis zum 11. Mai 2020 (0:00 Uhr). Das genannte RD 463/2020 sieht in Art. 10 u.a. folgende Bestimmung zur Schließung von spanischen Geschäftsbetrieben vor: „Die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften wird ausgesetzt, mit Ausnahme von Einzelhandelsgeschäften für Lebensmittel, Getränke, Grundbedarfsgüter, Arzneimittel, medizinische, optische und orthopädische Produkte, Hygieneartikel, Presse- und Schreibwaren, Kraftstoffe, Tabakwaren, technische und Telekommunikationsgeräte, Tiernahrung, Internet-, Telefon- oder Versandhandel, chemische Reinigung und Wäschereien. Jede andere Tätigkeit oder Einrichtung, die nach Ansicht der zuständigen Behörde ein Ansteckungsrisiko darstellen könnte, wird ausgesetzt“. Weiterhin gilt eine allgemeine Ausgangsbeschränkung, die Ausnahmen nur für wichtige Aktivitäten (z.B. Einkauf, Arztbesuch, Arbeit) vorsieht.
b) In einem weiteren königlichen Gesetzesdekret 10/2020, vom 29. März (Real Decreto-ley 10/2020, de 29 de marzo), zur Ausführung des vorgenannten RD 463/2020 wurde dann als flankierende arbeitsrechtliche Maßnahme eine sog., ebenfalls spanienweit geltende „bezahlte Sonderfreistellung“ (permiso retribuido) verabschiedet, nach der Angestellte und Arbeitnehmer, die keiner „wesentlichen Tätigkeit“ (weiterführend zur Frage der wesentlichen Tätigkeit auch Andrés Monereo) nachgehen, im Zeitraum vom 30. März bis 9. April obligatorisch von ihrer Arbeitsleistung freigestellt werden. Auch diese Sonderfreistellung wirkt sich im Ergebnis für viele Betriebe schließungsähnlich aus.
c) Speziell auf die spanischen Wohnraummieten zugeschnitten sind Teile des königlichen Gesetzesdekrets 11/2020, vom 31. März (Real Decreto-ley 11/2020). Mittels diesem Regierungserlass sind verschiedene Regelungen im Hinblick auf den Ausfall von Mietzahlungen im Rahmen von Wohnungsmietverträgen getroffen worden. Insoweit gilt, dass Mieter, deren Mietverträge unter das spanische Gesetz für städtische Mieten (Ley 29/1994, de 24 de noviembre, de Arrendamientos Urbanos, kurz „LAU“) fallen, und die sich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, vom Vermieter einen außerordentlichen und zeitlich befristeten Aufschub verlangen können, sofern es sich beim Vermieter um ein Unternehmen oder eine öffentliche Wohnungsgesellschaft handelt oder aber um einen sog. Großvermieter (gran tenedor). Der Vermieter gilt – auch im Falle natürlicher Personen – als Großvermieter, sofern er Inhaber von mehr als zehn städtischen Immobilien (Garagen und Lagerräume werden nicht einberechnet) oder einer Fläche von über 1.500 m2 bebauter Fläche ist. Hierzu weiterführend Rechtsanwältin Carrera: Spanien: Mietverträge in der Corona-Krise.
d) Speziell auf spanische Gewerberaummieten zugeschnitten sind Teile des königlichen Gesetzesdekrets 15/2020 vom 21. April (Real Decreto-ley 15/2020). Gemäß den Bestimmungen dieses Regierungserlasses besteht für die Mieter gewerblich genutzter Immobilien beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit, einen Aufschub der Mietzahlungspflichten für maximal 2 Jahre zu erreichen. Im Unterschied zu den Krisenregelungen in anderen Ländern wurde in Spanien exakt definiert, welche Mietergruppen besonders schutzwürdig sind und daher die Stundungsregelung in Anspruch nehmen dürfen und von welchen Vermietern der Aufschub zwingend zu gewähren ist. Die Stundung ist dabei auf jeden Fall förmlich beim Vermieter zu beantragen und kann sich auf Mietzahlungen aus maximal 4 Monaten beziehen. Die gestundeten Mietzinsen sind zinsfrei und innerhalb eines Zeitraumes von maximal 2 Jahren periodisch dem Vermieter zu entrichten.
3. Im Hinblick auf gewerbliche Mietverhältnisse in Spanien ist zunächst generell zu beachten, dass spanische Gewerbemietverträge sich üblicherweise durch ein hohes Maß an Vertragsfreiheit auszeichnen, weshalb zur Bestimmung der gegenseitigen Vertragspflichten auf jeden Fall die konkreten Vertragsregelungen heranzuziehen sind. Insbesondere können spanische Gewerbemietverträge auch Regelungen zu Ausnahmesituationen oder zu „Höherer Gewalt“ enthalten.
4. Grundsätzlich ist im Rahmen gewerblicher Mietverhältnisse der Mieter laut spanischem Recht dazu verpflichtet, seine Zahlungspflichten zu erbringen, selbst im Falle der Einschränkung des Gebrauchs der Mietsache. Folglich gilt im spanischen Recht der Grundsatz, dass äußere Umstände oder Einflüsse, die die Tätigkeit des Mieters, aber nicht die Mietsache an sich betreffen (etwa die allgemeine wirtschaftliche Situation, Änderungen im Kaufverhalten, etc.) nicht alleine deshalb schon zu einer Reduzierung oder Aussetzung der Mieten führen, sondern vielmehr auch in diesen Fällen vom Grundsatz her geschlossene Verträge einzuhalten sind.
5. Der bereits erwähnte Erlass der spanischen Regierung 15/2020 (siehe vorstehend Punkt2., d)) regelt im Bereich gewerbliche Mietverhältnisse zunächst die Frage „welche Mieter“ schutzwürdig sind. Dies sind nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, die als Selbständiger oder Kleinunternehmen (sog. pyme) die mietgegenständliche Immobilie zur Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nutzen. Als kleine Unternehmen gelten dabei nur solche, die die Bestimmungen des Art. 257.1 des spanischen Kapitalgesellschaftsgesetzes erfüllen.
6. Darüber hinaus regelt der Regierungserlass 15/2020 (vorstehend Punkt2., d)) welche Vermieter von einem im vorstehenden Sinne „schutzwürdigen“ Mieter überhaupt in die Pflicht genommen werden können. Insoweit wird zunächst auf Unternehmen oder öffentliche Wohnungsgesellschaften bzw. sog. Großvermieter (grandes tenedores) abgestellt. Die Eigenschaft des Großvermieters wird – auch im Falle natürlicher Personen – dann angenommen, wenn der Vermieter Inhaber von mehr als zehn städtischen Immobilien (ohne Garagen oder Lagerräume) oder einer bebauten Fläche von mehr als 1.500 m2 Der Mietaufschub gilt in Spanien für derartige Großvermieter nach Antragstellung durch den Mieter ggü. dem Vermieter automatisch während der Dauer des Alarmzustandes samt dessen Verlängerungen sowie der darauffolgenden Monate (jeweils im Ein-Monats-Rhythmus), sofern dies aufgrund der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie notwendig sein sollte, wobei maximal vier (4) Monatsmieten nicht überschritten werden können.
Aufgrund des Aufschubs werden keine Strafzahlungen oder Zinsen fällig. Die aufgeschobene Miete ist mittels Aufteilung über einen Zeitraum von zwei Jahren zu begleichen. Diese Frist beginnt, sobald die zuvor beschriebene Situation nicht mehr besteht bzw. nach Ablauf der vier Monate, jedoch in jedem Fall begrenzt auf die Laufzeit des Mietverhältnisses oder seiner jeweiligen Verlängerungen. Sofern der Vermieter die vorgenannten Anforderungen (Unternehmen oder öffentliche Wohnungsgesellschaften bzw. sog. Großvermieter) nicht erfüllt, kann der Mieter ebenfalls einen Antrag auf Aufschub stellen, wobei in diesem Falle die Wirkungen nicht automatisch eintreten, sondern nur bei einer Einigung mit dem Vermieter.
7. Sofern die Parteien eine Vereinbarung bezüglich eines Aufschubs oder Reduzierung der Miete treffen, können ausnahmsweise die Beträge der gesetzlichen Mietkaution für die Begleichung der Mieten verwendet werden. In diesem Falle hat der Mieter die verwendeten Kautionsbeträge innerhalb eines Jahres ab dem Datum der Vereinbarung zu ersetzen, bzw. innerhalb der restlichen Vertragslaufzeit, sofern diese kürzer als ein Jahr sein sollte.
8. Nur diejenigen Mieter, die sich durch die Corona-Pandemie in besonderer Weise betroffen sehen, können in Spanien in den „Genuss“ des zwangsweisen Mietaufschubs kommen: Dies gilt zum einen für diejenigen Mieter, deren Geschäftstätigkeit aufgrund der Anordnungen der spanischen Behörden oder kraft eines Regierungserlasses, ausgesetzt wurde. Weiterhin können auch Mieter, die nicht durch die vorgenannten behördlichen Schließungen betroffen sind, sondern ihrer Geschäftstätigkeit grds. weiterhin nachgehen können, eine persönliche Betroffenheit dann geltend machen, wenn der Umsatz in dem der Antragstellung vorangehenden Kalendermonat um 75% niedriger ausfällt als der durchschnittliche Monatsumsatz im Quartal des entsprechenden Kalendermonats des Vorjahres.
9. Höhere Gewalt in Spanien: Unbeschadet der vorstehenden Sonderregelungen, die im Rahmen der Corona-Pandemie ergangen sind und unbeschadet des Grundsatzes, dass im Rahmen gewerblicher Mietverhältnisse der Mieter dazu verpflichtet ist, seine Zahlungspflichten zu erbringen (siehe vorstehend 4.) gelten grds. auch im Bereich gewerblicher Mietverhältnisse die allgemeinen Grundsätze der Höheren Gewalt, die das spanische Recht vorsieht. Allerdings ist zu beachten, dass die seitens des spanischen Gesetzgebers geschaffenen, vorstehend erläuterten Sonderregelungen, was Covid19-bedingte Ansprüche angeht, diesen allgemeinen Grundsätzen vorgehen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die spanischen Gerichte, zumindest bei solchen gewerblichen Mietern, die nicht in den „Genuss“ dieser Sonderregelungen kommen, die Grundsätze der Höheren Gewalt ausnahmsweise dennoch anwenden werden.
10. Wegfall der Geschäftsgrundlage in Spanien (clausula rebus sic stantibus): Dies ist ein weiterer, sehr ähnlicher Ausnahmetatbestand, der von spanischen Gerichten als Rechtsgrundsatz – auch ohne spezifische gesetzliche Regelung – in eng begrenzten Ausnahmefällen auch im Bereich gewerblicher Mietverhältnisse anerkannt worden ist. Allerdings ist auch insoweit zu beachten, dass die seitens des spanischen Gesetzgebers geschaffenen Sonderregelungen für Covid19-bedingte Ansprüche aus gewerblichen Mietverträgen (siehe vorstehend 5. – 8.), diesen allgemeinen Grundsätzen vorgehen, wobei aber auch hier nicht letztverbindlich ausgeschlossen werden kann, dass die spanischen Gerichte die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise dennoch anwenden.
Grds. sind für den Ausnahmetatbestand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage folgende Mindestanforderungen zu erfüllen: (i) Vorliegen einer außerordentlichen Veränderung der Umstände seit Vertragsschluss bis zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung; (ii) Bestehen eines exorbitanten Missverhältnisses zwischen den Ansprüchen der Vertragsparteien, die das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung beseitigen durch die Änderung infolge unvorhersehbarer Umstände; und (iii) Keine alternativen Möglichkeiten, der Schadensbegrenzung oder Schadensverhinderung.
11. Zusammenfassend besteht unser Ansicht nach trotz der spanischen Sonderregelungen für gewerbliche Mietverhältnisse, die von der Corona-Pandemie betroffen sind, immer noch ein Restrisiko, dass spanische Gerichte im Zusammenhang mit dieser Krise und im Hinblick auf beide vorstehenden Alternativen – (i) wirtschaftliche Konsequenzen und (ii) Schließung – die Anwendbarkeit sowohl der höheren Gewalt als auch des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejahen könnten, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise für die Mieter abzumildern. In jedem Falle werden die spanischen Gerichte auch bei der Annahme eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage versuchen, eine ausgleichende Lösung zu finden und die Folgen nicht nur einer der Vertragsparteien aufzubürden.
Madrid, 23. April 2020
Rechtsanwälte Stefan Meyer ([email protected]) und Janis Amort ([email protected])