Am 15. Juli 2012 ist in Madrid das Gesetz zur Ankurbelung des Einzelhandels in Kraft getreten. Neben der vollständigen Liberalisierung der Geschäftszeiten, die erlaubt, dass in Madrid Geschäfte, egal welcher Größe, ab sofort 365 Tage im Jahr 24 Stunden täglich öffnen dürfen, enthält dieses Gesetz noch eine weitere, nicht weniger wichtige Änderung des spanischen Bauwesens in Madrid: Ab sofort brauchen Entwickler großer Gewerbeflächen oder Büroräume keinerlei städtebaurechtlichen Genehmigungen mehr. Derjenige, der ein derartiges Gebäude entwickeln möchte, braucht, unabhängig von der Größe der Geschäftsfläche, weder einen Bauantrag zu stellen noch auf irgendeine andere Lizenz der Gemeinde zu warten.
Neoliberales System
Das neue neoliberale System stützt sich auf die dem spanischen Verwaltungsrecht bereits bekannte Figur der sogenannten „Erklärungsverantwortung“ („declaración responsable“), die bereits durch die Bolkestein-Direktive in das spanische Rechtssystem eingeführt wurde.
Folgerichtig hat derjenige, der ein Bauvorhaben in der Gebietskörperschaft Madrid („Comunidad Autónoma de Madrid“) plant, zusammen mit dem Projekt und dem Nachweis der Zahlung der Baugebühr (früher: Bauantragsgebühr) eine haftbare Erklärung in Bezug auf die Erfüllung mit allen Bauvorschriften abzugeben. Unmittelbar danach darf der Entwickler mit den Bauausführungen beginnen und nach der Fertigstellung derselben die Türen für das Publikum öffnen.
Festgehalten werden kann also, dass es im Vorfeld zu einem gewerblichen Bauvorhaben in der Gebietskörperschaft Madrid keinerlei städtebaurechtliche Kontrolle mehr geben wird, allenfalls eine nachträgliche Kontrolle während oder nach Abschluss der Bauarbeiten.
Keine Betriebsgenehmigung mehr
Darüber hinaus wird durch das Gesetz auch die zuvor immer notwendige Betriebsgenehmigung, die sicherstellen sollte, dass die angestrebten Aktivitäten dem Gebiet und der Umwelt entsprechen, abgeschafft. Der einzige nach wie vor in Kraft befindliche Kontrollmechanismus beschränkt sich auf solche Entwicklungsvorhaben in Madrid, die eine Bewertung der Auswirkungen auf die Umwelt erfordern.
Folgerichtig können solche Bauvorhaben nicht in Angriff genommen werden, solange die Verwaltung die entsprechende Bewertung nicht vorgenommen hat. Derartige Vorhaben kommen allerdings nicht oft vor und befinden sich normalerweise außerhalb des städtischen Gebietes.
Paradigmenwechsel
Die vorliegende Gesetzesänderung durch die Gebietskörperschaft Madrid ist drastisch: Der Wechsel von einer bislang rigorosen Verwaltungskontrolle im Bereich der Entwicklung von Einzelhandelsprojekten zu einer vollständigen Delegation auf den Bürger und die von diesem unter Vertrag genommenen Architekten und Techniker ist einzigartig in der Geschichte des spanischen Städtebauwesens.
Nachdem Projektentwickler und Gewerbetreibende jahrzehntelang unerträgliche Verzögerungen im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigungen durch die Gemeindeverwaltungen in Madrid in Kauf nehmen mussten, müssen wir uns heute fragen, ob der jetzige Zeitpunkt, zu dem neue Projekte äußerst selten sind und die gemeindlichen Techniker über ausreichend Zeit verfügen sollten diese zu kontrollieren, tatsächlich der richtige ist, um dem Bürger, der derzeit ohnehin in seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten begrenzt ist, die volle Verantwortung für eine Projektentwicklung in Spanien, genauer gesagt in der Gebietskörperschaft Madrid aufzubürden.
Fazit
Sicherlich ist die drastische Änderung der Gesetzeslage positiv im Hinblick auf eine schnelle Entwicklung neuer Projekte. Allerdings sollte die Verwaltung gleichzeitig präventiv gegen städtebauliche Infraktionen vorgehen, um solche Folgen zu verhindern, die später nur schwer wieder gut zu machen sind. Genau diese Beweglichkeit war auch in der Vergangenheit nicht gerade ein besonderes Charaktermerkmal unserer spanischen Gemeindeverwaltungen und genau in diesem Punkt sehen wir die Herausforderung der städtebaurechtlichen Norm in Madrid.