Kaum ein Jahr nach Inkrafttreten der Neufassung des Insolvenzgesetzes, erlassen durch das königliche Ausführungsgesetz 1/2020 vom 5. Mai, ist bereits der Inhalt eines neuen Gesetzesentwurfes veröffentlicht worden, der die EU-Richtlinie 2019/1023 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Juni 2019 (die EU-Richtlinie) umsetzen soll.
Wird das Gesetz so erlassen, wie in dem Entwurf vorgesehen, steht eine umfassende Reform und Überprüfung in folgenden Bereichen bevor: präventive Restrukturierungsrahmen, Zugang zu Frühwarnsystemen, Entschuldungsverfahren und die gerichtliche Position der Insolvenzverwaltung sowie Umstrukturierungs- oder Verwertungspläne. Das hat zu einer erheblichen Debatte in der Rechtsgemeinschaft mit sehr unterschiedlichen Positionen geführt.
Ziel des Gesetzesentwurfs ist die Umsetzung der EU-Richtlinie, deren Umsetzungsfrist ursprünglich der 17. Juli 2021 war, die allerdings später bis zum 17. Juli 2022 verlängert wurde.
Ziel der EU-Richtlinie ist Schuldnern in Situationen einer drohenden bzw. wahrscheinlichen Insolvenz zu versichern, dass es in den Mitgliedstaaten nationale präventive Restrukturierungsrahmen sowie Zugang zu Frühwarnsystemen, Entschuldungsverfahren und Maßnahmen für effizientere Restrukturierungs-, Entschuldungs- und Insolvenzverfahren gibt. Hinsichtlich der Entschuldungsregelung rät die EU-Richtlinie diese auch auf natürliche Personen anwendbar zu machen, deren Schulden nicht aus unternehmerischen Aktivitäten stammen (d.h. auf Verbraucher).
Der neue Gesetzesentwurf besteht aus einem einzigen Artikel mit 181 Absätzen, die das aktuelle Insolvenzgesetz ändern, 11 Zusatzbestimmungen, 4 Übergangsbestimmungen und 11 Schlussbestimmungen.
Mit dem Gesetzesentwurf würde in das Schema des geltenden Insolvenzgesetzes ein neues Buch zum Sonderverfahren für Kleinstunternehmen aufgenommen. Der neue Text würde somit vier Bücher umfassen: 1. Insolvenzverfahren, 2. Vorinsolvenzrecht, 3. Sonderverfahren für Kleinstunternehmen und 4. Internationales Privatrecht. Diese umfangreiche Gesetzesreform betrifft sowohl die professionellen Akteure des Insolvenzverfahrens (Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter, Vermittler) als auch Schuldner, Gläubiger, Gerichte etc.
Einige der wichtigsten Neuerungen aus dem Gesetzesentwurf möchten wir nachfolgend kurz umreißen, werden dabei um der Kürze Willen aber nur auf die ersten drei Bücher eingehen.
Erstes Buch: Insolvenzverfahren (concurso de acreedores)
Eine der relevantesten Änderungen betrifft den Schuldenerlass (exoneración del pasivo insatisfecho) nach spanischem Recht (Kapital II des Titels XI). Ziel der Änderung ist, dem gutgläubigen insolventen Schuldner eine „zweite Chance“ zu geben.
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass jedem gutgläubigem Schuldner – seien sie Unternehmer oder nicht – seine Schulden erlassen werden können, mit Ausnahme derjenigen, die ausnahmsweise aufgrund ihrer besonderen Natur als nicht erlassbare Schulden angesehen werden. Der Schuldner hat zwei Erlassoptionen: direkter Schuldenerlass nach Verwertung seines Vermögens und Schuldenerlass mit Zahlungsplan. Bei letzterem muss der Schuldner für einen gewissen Zeitraum seine zukünftigen Einkünfte zur Begleichung seiner Schulden verwenden. Nach Ende dieses Zeitraums wird der Schuldner von der Restschuld befreit, ohne dass zuvor seine Vermögenswerte und Rechte verwertet werden.
Weitere Änderungen zielen auf eine schnellere Bearbeitung und Effizienzerhöhung des Insolvenzverfahrens und die Verringerung von Verhandlungs- und Verwaltungsaufwand ab. Hier ist die Neuregelung für masselose Insolvenzen hervorzuheben, bei denen der Einfluss der Gläubiger ausgeweitet wird, ein nicht unumstrittener Aspekt.
Zweites Buch: Vorinsolvenzrecht
Hier ist eine umfassende Reform zur Umsetzung der EU-Richtlinie geplant. Ziel ist neben der Einführung frühzeitiger Restrukturierungsrahmen die Erhöhung der Flexibilität des Verfahrens, damit sich dieses besser an die Besonderheiten des Falls anpassen kann.
Der Gesetzesentwurf sieht die Zusammenführung der beiden aktuellen Restrukturierungsrahmen (Refinanzierungsvereinbarung und außergerichtliche Zahlungsvereinbarung) in einem einzigen Instrument, den sogenannten „Restrukturierungsplänen“, vor. Ferner soll die Anwendbarkeit von der drohenden und der bestehenden Insolvenz auch auf Fälle einer „wahrscheinlichen Insolvenz“ ausgeweitet werden.
Teil der Reform ist auch die Einführung einer neuen Rechtsfigur: der Restrukturierungsexperte. In bestimmten Fällen wird seine Beteiligung vorgeschrieben, um die Verhandlungen zu erleichtern, Schuldner mit wenig Erfahrung zu unterstützen und bei Streitfällen zur Klärung beizutragen.
Einige Besonderheiten für kleine und mittlere Unternehmen, bei denen es sich nicht um Kleinstunternehmen handelt, sind ebenfalls vorgesehen, wie z.B. der Ausschluss der Auferlegung eines Restrukturierungsplans ohne vorherige Zustimmung des Schuldners, die Zulassung der gerichtlichen Bestätigung von Plänen mit relativer Vorrangregel oder die Zulassung der Erarbeitung von Plänen auf Grundlage von offiziellen Vorlagen, die zu ihrer Formalisierung keiner Einbeziehung eines Notars und Bescheinigung durch einen Wirtschaftsprüfer bedürfen.
Drittes Buch: Sonderverfahren für Kleinstunternehmen
Die Einführung dieses neuen Buches betrifft einen der unentbehrlichsten Aspekte bei der Umsetzung der EU-Richtlinie, ein Sonderverfahren für Kleinstunternehmen, das ihre besondere Schutzbedürftigkeit berücksichtigt. Unter Kleinstunternehmen werden dabei Unternehmen mit weniger als 10 Arbeitnehmern und Jahreseinnahmen von weniger als zwei Millionen Euro verstanden.
Geplant ist ein einziges Sonderverfahren, das diejenigen Aspekte aus dem Insolvenzverfahren (erstes Buch) und den Restrukturierungsplänen (zweites Buch) aufgreift, die am besten auf Kleinstunternehmen passen. Daher werden Verfahren geregelt, die einfacher, schneller und flexibler sein sollen, sowohl im Falle der Fortführung als auch der Liquidation des Unternehmens.
Trotz der Risiken, die dies aus unserer Sicht für die Interessen der Gläubiger mit sich bringt, werden Verfahren abgebaut, die zwingende Beteiligung professioneller Akteure und Stellen auf ein Minimum reduziert und die Kommunikation innerhalb eines Verfahrens über kostenlose offizielle, online zugängliche Formulare eingeführt.
Hervorzuheben ist, dass in diesem Sonderverfahren der Richter nur zur Ergreifung der wichtigsten Beschlüsse und bei dem Gericht seitens der Parteien vorgelegten Streitfragen agieren soll. Ferner sollen Nebenverfahren, mit einigen Ausnahmen, schriftlich entschieden werden, die Ernennung von Restrukturierungsexperten oder Insolvenzverwaltern optional sein und Gerichtsentscheidungen grundsätzlich nicht anfechtbar sein. Vorgesehen ist zudem, den Parteien ein kostenloses Online-Programm zur Berechnung und Simulation von Zahlungen zur Verfügung zu stellen, um die Beratungskosten zu reduzieren. Kommunikationen mit dem Gericht sollen über kostenlose vorgefertigte elektronische Formulare erfolgen, etc.
Eine der wichtigsten Neuerung wird wohl die Schaffung einer Abwicklungsplattform sein, auf der alle Vermögenswerte aller Sonderverfahren für Kleinstunternehmen in Liquidation geführt werden, die dort direkt oder über regelmäßige elektronische Versteigerungen an Interessenten verkauft werden können. Sie könnte auch zur Begünstigung einer Übertragung des Unternehmens oder einzelner Produktionseinheiten verwendet werden.