Spanien: Nichterscheinen ist nicht länger ein Kündigungsgrund

10.03.2020 - Monika Bertram

Monika Bertram Abogada +34 91 319 96 86

Am 19. Februar 2020 trat das königliche Gesetzesdekret 4/2020 vom 18. Februar in Kraft. Diese Sofortmaßnahme ist Ausdruck der Entscheidung der Regierung, auf Grundlage des Artikels 86.1 der spanischen Verfassung Artikel 52 d) des Arbeitnehmerstatuts aufzuheben. Der besagte Artikel 52 d) gestattete Arbeitgebern die Entlassung eines Arbeitnehmer wegen Nichterscheinens, sofern die Abwesenheit einen bestimmten Prozentsatz innerhalb des Referenzzeitraums überstieg. Dies galt auch bei begründeter Abwesenheit. Von dieser Regelung ausgenommen waren Umstände wie Mutterschutz, Risiken während Schwangerschaft und Stillzeit, Urlaub und längerfristige Krankheit (d. h. mehr als 20 Tage in Folge). Sie wurden somit nicht als Abwesenheit im Sinne des Artikels 52 d) betrachtet.

Diese Regelung, die seit Inkrafttreten des Gesetzes 8/1980 vom 10. März zum Arbeitnehmerstatut Gültigkeit besaß, war praktisch unbekannt. Erst mit dem Pressewirbel um das Urteil 118/2019 des spanischen Verfassungsgerichts vom 16. Oktober, welches die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung erklärte, erfuhren viele von ihren Bedingungen und ihrem Umfang.

Nichtsdestotrotz ermöglichte das Urteil des Verfassungsgerichts, dass die Regierung angesichts des Aufschreis in den Medien seine Abschaffung anvisierte, so wie es auch in dem von PSOE und Podemos im Dezember 2019 unterzeichneten Regierungsprogramm niedergelegt ist.

Wodurch wird die Aufhebung dieser Bestimmung im Eilverfahren begründet?

Mit Blick auf die Gesetzesbegründung und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in seinen Urteilen vom 18. Januar 2018 bzw. 20. Juni 2013 wird die Dringlichkeit im Wesentlichen mit der Notwendigkeit der Abschaffung einer Vorschrift begründet, die in den Augen der Regierung und entgegen der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts in zweierlei Hinsicht zu Diskriminierung führen könnte:

–    Diskriminierung aufgrund einer Behinderung:

In seinem am 18. Januar 2018 gesprochenen Urteil kam der EuGH zu dem Schluss, dass die spanische Vorschrift, insbesondere die Artikel 2.2ii) und 5, nicht mit der EU-Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konform war. Diese verletzte das Recht auf Nichtdiskriminierung aufgrund einer Behinderung, insbesondere wenn bedacht wird, dass im Gesetz selbst kein Kontrollmechanismus zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Maßnahme vorgesehen ist.

Auf nationaler Ebene hat der spanische oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der genannten EU-Richtlinie in seinem Urteil vom 15. März 2018 bereits klargestellt, in welche Fällen eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit als Diskriminierung ausgelegt werden könnte, was die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hätte. Aus Sicht des spanischen obersten Gerichtshofs bedeutete eine Erkrankung nicht per se eine Behinderung des Arbeitnehmers, weshalb in jedem Fall der Einzelfall der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit zu prüfen wäre.

–    Diskriminierung aufgrund des Geschlechts:

In seinem Urteil vom 20. Juni 2013 kam der EuGH zu dem Schluss, dass eine benachteiligende Behandlung von Personen, die ihr Recht auf Vereinbarkeit wahrnehmen – hauptsächlich Frauen –, eine indirekte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts begründen könnte. In dem königlichen Gesetzesdekret wird ebenfalls auf die Daten der spanischen Arbeitsverwaltung (Instituto Nacional de Empleo) verwiesen, die zeigen, dass die Versorgung von pflege- und betreuungsbedürftigen Personen weiterhin im Wesentlichen von Frauen getragen wird. Die Aufrechterhaltung des Artikels 52 d) des Arbeitnehmerstatuts könnte daher eine indirekte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts begründen, auf die im Urteil des EuGH bereits hingewiesen wurde.

Mit der Aufhebung des Artikels 52 d) des Arbeitnehmerstatuts wird daher beabsichtigt:

  1. die europäische Gesetzgebung einzuhalten, insbesondere die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November;
  2. auf nationaler Ebene widersprüchliche Urteile zu vermeiden; sowie
  3. Diskriminierung jeder Art, insbesondere gegenüber den schutzbedürftigsten Gruppen der Gesellschaft, zu verhindern.

Angesichts dessen verabschieden wir uns von einer Bestimmung, die fast 40 Jahre in Kraft war, in der Praxis jedoch selten von Unternehmern genutzt wurde. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass bis zum diesbezüglichen Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 2019 nur wenigen der Inhalt und Umfang dieser Bestimmung bekannt war. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass das Arbeitsrecht den Arbeitnehmer bei Kündigungen bereits schützte, die auch nur den Anschein irgendeiner Diskriminierung erweckten, indem diese Kündigung nichtig erklärt wurde, was die entsprechenden Folgen mit sich brachte.

Monika Bertram Hernández
Abogada | Leiterin Bereich Arbeitsrecht
[email protected]
T (+34) 91 319 96 86